Die Corona-Kurve kriegen

Meine persönliche Corona-Kurve verlief die ersten Wochen der ‚Krise‘, abgesehen von einigen kleineren Ausschlägen nach oben und unten, unspektakulär mehr oder weniger gerade aus. Die letzten zwei Wochen hat sie sich allerdings in eine beinahe tägliche Berg-und Talfahrt verwandelt. Ein dramatisches Hoch und Runter. Zu Beginn des Lockdowns war ich vor allem mit einem Gefühl unterwegs, und zwar mit dem diffusen Gefühl ‚im falschen Film zu sein‘ – wie sich das anfühlt?

Es ist die Ganzkörpererfahrung eines Betruges.


Es ist das Wissen, das jede Zelle durchdringt, dass das, was einem da für die Wahrheit verkauft wird, ein ganz schön billiges Theater ist. So ging meine Befindlichkeitskurve erst auch eher hoch – also in Richtung positiv. Wow, jetzt wird hier ein so lächerliches Theater inszeniert, so schlecht gespielt, mit einem so billigen Plot, da wacht nun endlich auch die breite Masse auf und wir können kollektiv nun den ersehnten grossen Schritt in die Liebe machen!

Persönlich sah es für mich auch gut aus. Ich bin am 8. März für eine Stellvertretung in einer Primarschule aus Süditalien in die Schweiz gekommen. Total geführt – wie immer – zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Ein interessantes Engagement bis Ostern, das ich spontan drei Tage vor meiner Reise vereinbart hatte. Fernunterricht anstatt Quarantäne in einem kalabresischen Dorf, in dem ich eingesperrt wohl nicht mehr viel Kreatives zustande gebracht hätte.

Ich darf also dabei sein, beobachten, miterleben, wie die Bildungsdirektion den Lockdown für die Schule aufgleist und in der Freizeit in meiner Heimat aus Kindertagen durch die wunderschöne Frühlingslandschaft spazieren.


Bis zu dem Moment, wo mir klar wurde, dass ich an Ostern nicht nach Italien reisen werden würde und auch nicht in der Woche nach Ostern, bestanden meine Downs aus Sehnsucht nach meinem Partner in Kalabrien, aus dem Schock, dass offenbar ein Grossteil der Bevölkerung der Inszenierung dieses Killervirus glauben schenkt und aus Krisen, die der Ort meiner Quarantäne mit sich bringen. Ich bin im Haus meines Vaters, mit ihm zusammen unter einem Dach, nun in der siebten Woche. Achtzehnjährig verliess ich mein Elternhaus und seither habe ich genau vier Nächte im Haus meines Vaters verbracht – und nun bin ich fast genau achtzehn Jahre nach meinem Auszug hier gefangen – in aller Liebe für meinen Vater.

Glücklicherweise habe ich das Bewusstsein dafür, dass ich tatsächlich geführt bin und meine jetzige Situation eine riesengrosse Heilungschance für mich bedeutet. Unglücklicherweise führt mein Ego immer noch ganz schön viele Tänze auf. Und so schwanke ich zwischen Annahme und Widerstand. In Momenten, wo ich annehmen kann, demütig zulasse, was ist, geschieht Heilung. Wunden aus der Kindheit, vor Jahrzehnten geformte Trigger, welche sich mir nun glasklar zeigen, kann ich liebevoll in den Arm nehmen und dabei bildlich zusehen, wie sie sich lösen. In Momenten des Widerstandes werde ich zum schreienden Kind, zum tobenden Monster – nicht laut, weder schreiend noch schimpfend, aber so unglaublich zerstörerisch! Ich mache dem Drama Platz und wende alles gegen meine Verbindung zu meinem geliebten Mann im Süden. Vertrauen weicht Unmut und Zerstörung. Ein mir bestens vertrautes Muster. Nicht zu wissen, wann ich über die Grenze kann – ausgeliefert zu sein – hat mich beinahe dazu gebracht, zu beschliessen, dass ich gar nicht mehr über die Grenze gehen werde.


Nur damit ICH kontrollieren kann, damit ICH entscheide, was passiert, damit ICH nicht warten muss, damit ICH nicht mit dem Gefühl der Ungewissheit sein muss.


Bewusstsein, Liebe und meinem Partner sei dank, habe ich die Kurve im letzten Moment gekriegt. Das gequälte kleine Kind in mir hat zugelassen, gehalten zu werden und so ist mein Sein wieder erfüllt von Vertrauen und dem Wissen, dass wir stets und immer gehalten, getragen und geführt sind, dass wir ent-spannen und geschehen lassen dürfen. Solange ich im Widerstand bin, kreiere ich Leid und komme auch keinen Schritt weiter. Lasse ich hingegen los und nehme ich an, was ist, fliesst alles viel leichter, Liebe erfüllt mich und ich bin nicht mehr Opfer, sondern wacher, liebender Protagonist im Spiel des Lebens.


Und so kommt meine Schaffenskraft zurück und manchmal erscheint es tatsächlich gar nicht mehr wichtig, ob ich nun hier bin oder da, ob die Grenze aufgeht oder nicht. Liebe ist und Verbundenheit überquert jede Grenze.